Wieder ein neuer Marketingbegriff? Nein, ganz sicher nicht. „Digitale Souveränität“ steht vielmehr für einen notwendigen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Digitalisierung. Denn auch wenn wir das nicht so gerne hören, Deutschland schneidet hier im weltweiten Vergleich eher mittelmäßig ab. Glücklicher Weise reichte unser Status in der aktuellen Ausnahmesituation gerade noch so, um die hastig eingerichteten Homeoffices und Video-Konferenzsysteme im Betrieb zu halten. Aber gut ist anders. Denn das eigentliche Problem unserer digitalen Versäumnisse liegt tiefer. Wenn neue Standards und Regeln festgelegt werden, dann können wir weder mitreden noch souverän handeln. Es bleibt uns zum Schluss nur noch das Hinterherlaufen und Reagieren.
Wo genau liegt das Problem?
Ein konkretes Beispiel aus aktuellem Anlaß
In den letzten Monaten offenbarte sich die fatale Abhängigkeit Europas, speziell auch die der Bundesrepublik Deutschland, von Lieferungen aus anderen Teilen der Erde. Dabei ging es überwiegend um Produkte aus dem medizinischen Sektor. Seit Jahren warnten Fachleute vor den eklatanten Folgen, auf eigene Produktions- und Vorratskapazitäten zu verzichten. Nur interessierte sich bis zum Ausbruch der Pandemie kaum jemand dafür.
Das gleiche Phänomen beobachten wir auch seit Jahren in Internet und Informationstechnologie. Innovationen in diesem Bereichen entstehen inzwischen woanders. Man investiert in Ausbildung und Infrastruktur erst, wenn es die Umstände unvermeidlich machen. Anstatt zu agieren versucht man zu regulieren. Kurzum, nicht nur die Politik, sondern auch speziell die deutsche Wirtschaft ignoriert seit Jahren Entwicklungen und Tendenzen der Digitalisierung. Die Konsequenzen des eigenen Handelns bzw. Unterlassens werden einfach ausgeblendet.
Eine eco-Studie zum Thema „Digitale Souveränität“
Der Verband der deutschen Internetwirtschaft, eco e.V. führte Anfang März 2020 eine Umfrage unter deutschen IT-Experten zum Thema „Digitale Souveränität“ durch. Vermutlich wollte man dem Verdacht nachgehen, dass die Spielregeln in der IT kaum noch hierzulande gemacht werden. Im Endeffekt bedeutet das nämich, dass die Mehrzahl der deutschen Unternehmen sich mehr oder weniger von Produkten und Dienstleistungen aus anderen Staaten abhängig gemacht hat.
Gerade jetzt organisieren viele Unternehmen – unabhängig von ihrer Grösse – ihr Geschäft mit Hilfe von Plattformen, Software und anderen Tools von nicht-europäischen Anbietern, die also nicht an EU-Regeln gebunden sind. Ein Großteil der IT-Experten in Deutschland bewertet diese Abhängigkeit als zu hoch – etwa bei Endgeräten (32,3 Prozent), Bürosoftware (31,7 Prozent), Netzwerk-Software (30,9 Prozent) und verschiedenen Cloud-Services (zwischen 20,4 und 26,6 Prozent).
Zitat eco e. V.
„Unternehmen und Institutionen in Deutschland hätten jedoch ein großes Bedürfnis die eigene Digitalisierung selbstbestimmt zu gestalten, sagt Andreas Weiss, Geschäftsbereichsleiter digitale Geschäftsmodelle im eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. „Dafür brauchen IT-Entscheider die Freiheit, IT-Ressourcen nach europäischen Standards zu beziehen und nutzen zu können“, sagt Weiss. Er fordert, offene Standards für Schnittstellen ebenso stärker zu fördern wie offene Quellcodes und das Prinzip der Datensouveränität zu unterstützen.
Diese Forderung teilt jeder zweite IT-Experte in Deutschland. Offene Standards für besseren Datenaustausch wünschen sich 52 Prozent der 500 von Civey befragten IT-Experten. Denn diese fehlen oder sollten stärker ausgebaut werden, damit das eigene Unternehmen digital souveräner handeln kann, sagen 45,8 Prozent der Befragten. Mehr RZ-Leistungen aus Deutschland wünschen sich 24,5 Prozent, mehr europäische IT-Anbieter am Markt 23,1 Prozent.“
Quelle: https://www.eco.de/news/digitale-souveraenitaet-europaweite-unabhaenigkeit-in-der-infrastruktur/
Unterm Strich gesehen sprechen wir hier also von einem selbst gemachten Problem.
Offene Standards für mehr digitale Souveränität
Dabei gibt es einen Ausweg aus der Abhängigkeit von den Lösungen der großen IT-Player. Open Source Lösungen sind wie geschaffen für mehr digitale Souveränität. Inzwischen können sie für viele Schlüsselanwendungen eine echte Alternative anbieten. Und es gibt für viele Fragen europäische, sogar deutsche Antworten. Werfen wir einen Blick auf einige Beispiele.
Die viel beschworenen „offenen Standards“ existieren in vielen Bereichen schon seit langem. Aber warum werden diese entweder zu selten verwendet, offensichtlich totgeschwiegen oder sogar boykottiert? Ein typisches Beispiel ist der SNMP-Standard im Monitoring von IP-basierten Geräten. Hier kochen CISCO und Microsoft, zwei große Player im IP- und IT-Geschäft, ihr eigenes Süppchen. Um Geräte dieser Hersteller optimal monitoren zu können, muss man nämlich zusätzliche Software, die natürlich gerne Lizenz-behaftet ist, verwenden.
Dabei muss das nicht sein, denn es gibt andere Möglichkeiten. Bei der BB-ONE.net haben wir bereits vor Jahren Cisco Routern wegen erwiesener Backdoors „Hausverbot“ erteilt. Und Windows verwenden wir im DataCenter nur dann, wenn unsere Kunden dies unbedingt fordern. Alles übrige (mehr als 95 %) wird per SNMP überwacht.
RZ-Leistungen made in „D“
Wenn die befragten IT-Experten mit 24,5 % mehr RZ-Leistungen aus Deutschland wünschen, dann erfreut uns das natürlich. Schließlich sind wir mit der BB-ONE.net doch immerhin einer der letzten rein deutschen Anbieter von RZ-Leistungen. Denn viele ehemals deutsche Anbieter gehören mittlerweile zu internationalen Private Equity-Unternehmen, die fast ausschliesslich US-Amerikanische, Britische oder Japanische Wurzeln haben.
Die beiden bekanntesten Hosting-Anbieter in Deutschland gehören zur United Internet-Gruppe (Strato, 1&1). Sie wenden sich eher an private Kunden und vermieten überwiegend Webspace. Zur Host Europe Group (HEG) gehört nicht nur der Webhoster „Host Europe“, sondern auch DomainFactory und Intergenia (bekannt durch Server4you). Eigentümer von HEG ist der Finanzinvestor Cinven Capital.
Dann gibt es noch die Hetzner GmbH sowie die Telekom als große deutsche Anbieter. Allerdings gibt es bei beiden keine Services wie Managed Hosting wie wir es verstehen. Damit fallen sie für alle Unternehmen ohne eigene ausgebaute IT-Abteilung mit Internet-Skills weg.