Paradigmenwechsel
„Wir wollen doch nur Ihr Bestes“. So versteckte man früher ironischer Weise die Aussage: „Wir wollen Ihr Geld“. Deshalb bemühte man sich um den Kunden. Denn ein zufriedener Kunde war Gold wert. Schließlich kam er wieder, kaufte mehr. Es war ein Geben und Nehmen nach einigermaßen klaren Regeln. Das hat sich im Internet-Zeitalter zu Ungunsten von Kunden und Verbrauer komplett verdreht. Denn der Datenhandel ist ein lukratives Milliarden Geschäft.
Im 21. Jahrhundert ist man an Ihrem Geld nicht mehr interessiert. Na ja, unterm Strich doch. Aber erst mal will man alles über Sie wissen. Wirklich alles. Damit man Ihnen „das Richtige“ anbieten kann. Und davon möglichst viel. Später, wenn man bereits alles über Sie weiss, sagt man Ihnen, was das Richtige für Sie ist. Ab diesem Zeitpunkt also, der übrigens schneller kommt als Ihnen lieb ist, entscheiden Sie eigentlich nicht mehr selbst, welche Informationen, Beiträge und Produkte Sie zu sehen bekommen.
Das dient auf dem ersten Blick nur Ihrer Bequemlichkleit. Hilft Ihnen im hektischen Alltag zwischen Notebook und Smartphone mit den ganzen Nachrichtenbeschuss aus Mails, SMS, Posts, Tweets & Co. zurecht zu kommen. Auf dem zweiten Blick verringern sich Ihre Möglichkeiten, die Relevanz und den Wahrheitsgehalt der Informationen zu überprüfen.
Unausweichlich
Selbst wenn Sie sich zunächst alle Mühe geben, möglichst wenig von sich Preis zu geben, damit Sie die „nützlichen“ kostenlosen Dienste von Facebook, Google, Whatsapp & Co. in Anspruch nehmen können – diese Anbieter bekommen fast alles über Sie heraus. Wie alt Sie sind, Ihr Geschlecht, Ihren Familienstand, wo Sie wohnen, welchen Lebensstandard Sie pflegen, ja sogar welche politische Meinung Sie vertreten. Sie können diese Sammelwut zumindest formal etwas einschränken, indem Sie in den persönlichen Daten alles deaktivieren und verbieten, was nach Datenaustausch und Bevormundung aussieht. Aber selbst das sagt etwas über Sie aus. Und manche Wege zu den Informationen über Sie beleiben trotzdem offen.
Einige dieser verschlungenen Pfade kennen Sie. So lesen viele Kostenlos-Portalanbieter Ihren Browserverlauf aus, wenn Sie das in Ihren Einstellungen nicht unterbunden haben. Auch können Sie sich per Sicherheitseinstellungen davor schützen, dass die Cookies von anderen Webseiten, die Sie regelmäßig besuchen, auslesbar sind. Aber was Sie nicht verhindern können, ist die intensive Beobachtung Ihrer Bewegungen und Eingaben auf den jeweiligen Anbieterseiten und die akribische Auswertung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse.
Um Missverständnissen vorzubeugen: wir reden hier nicht von der klassischen Website-Analyse. Diese dient dem seriösen Website-Betreiber als Rückkopplung und Qualitätssicherung. Wird er überhaupt gefunden? Sind seine Online-Angebote für die Zielgruppe relevant? Und welche Angebote interessieren seine potenziellen Kunden? Das Angebot soll dem Kunden schmecken, ihn glücklich machen. Ganz in alter Tradition. Aber es ist nicht das Ziel, ihn darüber hinausgehend zu manipulieren.
Datenhandel – eine immerwährende Goldgrube
Die Verfahren zum Ausfiltern dieser Daten haben tatsächlich viel mit dem traditionellen Goldschürfen gemein. Man muss tatsächlich viel Sediment bewegen, um die echten Nuggets herauszuwaschen. Doch im Gegensatz zu einer Goldmine, die irgendwann ausgebeutet ist, sind Ihre Bewegungen im vermeintlich anonymen Netz ein wahrer Quell des Erkenntnisgewinns, je länger und häufiger Sie sich darin bewegen. „Profiling“ nennt man diesem Schritt. Hinter diesem stehen hochspezialisierte Algorithmen und aufwendige Auswertungsverfahren, die Experten von Anbeginn des Internets beständig perfektionieren.